Ich sitze hier in einem kleinen Windschutz auf ca. 600m Höhe, noch grade tief genug, um unter der schweren Wolkenwand Weitblick zu haben, darüber verschwindet die nächsten 500 Höhenmeter alles im dichten Nebel. Mit meinem Kaffee in der Hand, der mich auf die kommenden 1200 Hm Aufstieg und 17 Km Fußmarsch vorbereiten soll, kommen mir verschiedene Sequenzen aus meinem Leben in den Sinn, in denen mir Menschen begegnet sind, die eine sehr starre Meinung darüber hatten, was richtig und was falsch ist (und dazu habe ich auch mal gehört!)

Und das waren nie angenehme Begegnungen, weil sie per se nicht auf Augenhöhe stattfinden können, in denen beide Seiten - meine und ihre - einen Platz haben. Denn eine Seite ist ja falsch, wenn sie anders ist, als die vermeintlich richtige.

Wie und wo soll denn da Begegnung stattfinden können?

Ich habe sehr viel Krankenhauserfahrung. Ich hatte etliche OPs und viele Krankenhausaufenthalte. Aber ich habe noch mehr Krankenhauserfahrung als Mutter eines Kindes, dessen Seele sich die ersten 1,5 Jahre nicht entscheiden konnte, ob sie gehen oder bleiben will. Allein als sie 5 Monate alt war, haben wir 7 Wochen am Stück im Krankenhaus verbracht und es folgten etliche weitere.

Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, als ich alleine im Krankenhaus war, waren größtenteils Ok. Zumindest waren sie -im Erwachsenenalter- auf Augenhöhe.

Ganz anders jedoch als Mutter, deren Kind Patientin ist. Schließlich geht es da ja um Jemand drittes, über den geredet wird, und Eltern, die keine Mediziner sind, haben grundsätzlich und per se keine Ahnung und dürfen daher nicht mitreden. Geschweige denn, dass sie ernst genommen werden. Es braucht sehr viel Kampfgeist, Klarheit und Durchhaltevermögen, um sich überhaupt Gehör zu verschaffen.

Wenn ich über richtig und falsch nachdenke, dann kommen mir primär die ganzen absurden Begegnungen mit Ärzten in Bezug auf meine Tochter in den Sinn, die meinen, wie man so schön sagt, die Wahrheit mit Löffeln gefressen zu haben, sogar auch dann, wenn sie gar keine Ahnung von ihrer Erkrankung haben.

Und ich habe in den letzten zwei Jahren nochmal sehr deutlich erfahren, dass in einem System, indem es um Richtig und Falsch geht nicht nur keine Begegnung stattfinden kann, sondern es auch immer einen Gewinner und Verlierer geben MUSS, oder eben einen, der Schuld ist und einen, der alles richtig gemacht hat und deswegen von Schuld befreit ist. Es geht nicht um eine Win-Win Situation und auch nicht immer um das Wohl der beteiligten. Aber das ist ein anderes Kapitel und soll hier an dieser Stelle nur beiläufig Erwähnung finden.

Was mir sehr oft in meiner Praxis begegnet, vor allem bei neuen Klient*Innen, ist die Angst davor, etwas falsch zu machen. Bei Menschen, die schon länger mit mir arbeiten, verliert sich das meistens mit der Zeit, weil sie bemerken, dass es um Begegnung geht statt um richtig und falsch und das entdecken des eigenen.

Und dass das, was ich suche weder der richtige, noch der falsche Weg ist, sondern ihr ganz eigener.

Es ist für erstaunlich viele Menschen eine Herausforderung, ihr eigenes zu entdecken und zu erkunden. Es ist soviel einfacher „Befehlen“ von Außen zu folgen, vor allem, wenn wir uns selbst verloren haben.

Wir sind so gedrillt darauf Dinge so machen zu müssen, wie sie uns vorgeschrieben werden, dass wir das Gefühl verlieren für das, was von unserem Inneren nach Außen möchte. Wir wissen dann nicht mehr, was wir wollen und verlieren schließlich gar den Zugang zu unseren Impulsen. Zu dem, was uns lebendig fühlen lässt und uns Freude bereitet.

Es braucht für viele ein neues Lernen und die Erfahrung, dass wenn wir aufhören im Außen zu bedienen und unsere eigene Innere Stimme wieder wahrnehmen und ihr folgen, nichts Schlimmes passiert! Denn wir haben nicht grundlos aufgehört darauf zu hören! Viele von uns haben die Erfahrung gemacht, dann bestraft oder ausgeschlossen zu werden, oder nicht mehr sicher zu sein.

Von daher gibt es einen richtigen, einen falschen und deinen ganz eigenen Weg.

Wie Rumi so schön gesagt hat: Jenseits von Richtig und Falsch, da liegt ein Ort, da treffen wir uns.

Denn nur dort kann wirklich Begegnung stattfinden.

Dazu möchte ich am Schluss noch gerne eine kleine Geschichte teilen, in der ich eine gegenteilige Erfahrung zu denen im Krankenhaus gemacht habe.

Es war in diesem Frühjahr, als mich das Universum mit einem recht hohen Menschen aus der Businesswelt auf 4 Quadratmeter in einem Winterraum in den Bergen zusammengewürfelt hat. Zugegebenermaßen war ich die ersten zwei Stunden überhaupt nicht amused darüber, als er die Tür aufmachte, das kleine Mini Biwakquartier mit einem Mann, noch dazu einem Deutschen teilen zu müssen. Aber da es ja kein Entrinnen auf 1800m gab, habe ich mich irgendwann auf die Begegnung eingelassen und es ist erstaunliches daraus entstanden. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal soviel und so herzlich mit Jemandem gelacht habe.

Wir kommen aus Welten, die unterschiedlicher nicht sein können, aber es gab ein echtes Interesse von beiden Seiten und eine Offenheit für die Welt des jeweils anderen. Ich kann mir nicht im Entferntesten vorstellen, wie es ist 1000 Angestellte „unter“ mir zuhaben, für die ich verantwortlich bin. Überhaupt kann ich mir nicht vorstellen in so einem riesigen internationalen Konzern zu arbeiten.

Und er hat herzlich wenig Ahnung von der Arbeit, die ich mache und der Welt, in der ich mich bewege. Körper- Energie- oder Traumaarbeit kommt in seiner Welt nicht vor. Aber zumindest gehört hatte er schon davon..

Wir hatten viel Zeit zu reden und uns auszutauschen und haben ab dem zweiten oder dritten Tag dann beschlossen diese Tour durch Slowenien bis über die österreichische Grenze gemeinsam zu Ende zu laufen.

Es war eine zutiefst bereichernde Erfahrung eine Woche lang mit diesem Menschen gemeinsam zu wandern (wir sind ein wunderbares Team geworden), die zeigt, dass Begegnung auf Augenhöhe unabhängig vom Status und Differenzen ein Gewinn auf beiden Seiten sein kann. Mich hat diese Begegnung sehr berührt. Eine Begegnung in der es kein Falsch oder Richtig gab, sondern nur seine Welt und meine. Und ein teilen dieser so unterschiedlichen Welten miteinander mit Respekt und Anerkennung beiderseits.

Davon wünsche ich mir für uns alle viel viel mehr! Mehr Räume der Begegnungen auf Augenhöhe, mit Respekt und Anerkennung und jenseits von Richtig und Falsch!

Herzliche Grüße,

Aneah