Da ich die Berge so sehr liebe bin ich, wann immer die Zeit dafür reicht in den Bergen unterwegs (im Winter am liebsten auf Tourenskiern). Und so langsam steigt die Sehnsucht das auch abseits der Piste im Tiefschnee zu tun. Um mich nun langsam auf das Tiefschneefahren vorzubereiten, habe ich mir einen Skilehrer für zwei Privatstunden gebucht um meine Fahrtechnik zu verbessern, bevor ich mich ins ungesicherte Gelände wage...
Ich habe mich sozusagen erstmal in die "learning zone" begeben, bevor es ans "performen" geht, wo mein können dann verlangt wird. Und Tiefschneefahren ist nicht einfach, dass habe ich schon einige Male ausprobiert und konnte auch dieses Mal einige andere dabei beobachten, die den tiefen Schnee unterschätzt haben (das sieht nämlich so leicht aus) um dann in mehreren Saltos den Hang hinab zu purzeln, weil sie so garnicht mit dem Schnee zurecht kamen.
Jedenfalls gab es auch allerhand Verbesserungsbedarf was meine Technik angeht und ich habe richtig viel gelernt, vor allem, was ich alles falsch gemacht habe, sozusagen konträr zu dem, was der sinnvolle und daher „richtige“ Fahrstil ist. War sehr spannend und hat richtig viel Spass gemacht. Es gab aber auch immer wieder einige kleinere und größere Herausforderungen...
Nach dem mein Skilehrer Alex drei mal mit mir die blaue Piste gefahren ist (für alle, die kein Ski fahren: es gibt die Einteilung in blau= leichte, rot=mittel und schwarz= schwere Piste) und sich meine Fahrkünste angeschaut und korrigiert hat, meinte er, ich solle ihm mal hinterherfahren, wir würden jetzt runter zum zweier Lift fahren. Ich bin also hinter ihm her gefahren und als wir dann vor der schwarzen Piste zum stehen kamen und er allen ernstes meinte ich würde da jetzt mit ihm runter fahren ist mir mein Herz in die Hose gerutscht. Mein erster Gedanke war: Hat er sie noch alle? Ich bin noch NIE schwarze Piste gefahren und hatte das auch absolut nicht vor. Ich fahre blau entspannt und rot unentspannt, aber bestimmt keine Schwarze Piste! Ich hab schon bei den steilen Stellen der roten Pisten Schiß und die zu bewältigen ist mir schon Herausforderung genug!
Aber Alex war nicht davon abzubringen. Also fuhr er ein Stückchen vor, während ich noch zögernd oben am Hang stehen blieb und schluckte. Selbst während ich das schreibe werde ich noch ganz nervös und fange an zu schwitzen wenn ich mich an den Moment erinnere. Ich habe dann tief durchgeatmet, all meinen Mut zusammen genommen und mir gedacht: Na gut, was soll schon passieren. Wenn ich stürze, dann rutsche ich halt den Hang hinunter. Mehr auch nicht. Wird schon schief gehen. Also los...
Ich habe versucht nicht nach unten zu schauen, um nicht zu sehen wie weit und extrem steil es da bergab ging (selbst mit Schuhen die nicht rutschen hätte ich da meine Bedenken diesen Hang zu betreten). Also habe ich immerzu auf meine Skier geschaut und mich innerlich schön auf meine Füße und die Gewichtsverlagerung konzentriert. Bloß nicht hinschauen was da vor mir liegt sondern einfach nur Kurve, um Kurve, um Kurve ziehen, bis ich irgendwann unten bin. Es hatte schon was erleichterndes zu wissen, dass Alex, der mir immer wieder zuredete, immer in Reichweite war. Immerhin, wenn ich mich bei der Aktion zerlege, dann ist da Jemand, der meine Einzelteile einsammeln kann...
Brauchte er aber nicht. Ich bin völlig verschwitzt vor Angst und enormer Anspannung und ganz zittrig in den Beinen dann irgendwann unten angekommen. Ich habe dann auf den bewältigten Hang geschaut und neben Ungläubigkeit machte sich auch ein klitzekleines Glücksgefühl breit. Ein Gefühl des Triumphes. Wow, ich hab das wirklich geschafft! Ich bin da runter gekommen! Während wir dann gemeinsam im zweier Lift wieder Bergauf fuhren, meinte ich, dass er ja schon einwenig verrückt sei mich auf die schwarze Piste zu schicken und er meinte daraufhin nur ganz ruhig und cool: „Ich wusste, du kannst das, sonst hätte ich das nicht gemacht.“
Ich habe den ganzen Tag über immer wieder, wenn ich gerade in einem Lift saß und nicht selber gefahren bin, an diesen Satz von ihm gedacht. Und mir wurde die Parallele zu meiner Arbeit bewusst. Alex hat halt einen guten Blick für das, was seine „SchülerInnen“ können und führt sie da an ihre Grenzen, bzw. darüber hinaus. Und irgendwie mache ich das in meiner Arbeit ja auch. Ich weiß, dass ihr wesentlich mehr könnt, als ihr selber glaubt, weil das bei uns allen so ist, und fordere euch deswegen an diesen Stellen zwar sanft, aber kontinuierlich immer wieder heraus… Und ich habe nie gesagt, dass das einfach ist. Ist es nicht. Und ja, es macht Angst. Es fordert uns all unseren Mut ab. UND trotzdem: es lohnt sich!!!
Letztlich bin ich am Ende des Tages dann die gesamte Strecke von der Bergstation bis ins Tal abgefahren, davon 3,4 Km schwarze Piste (es gibt auf dem Mittelstück keine alternativen Routen). Und weil mir immer schlecht wird, wenn ich den steilen Abhang (also die Piste) runter schaue, habe ich immer schön auf meine Skier geschaut und das jeweils kleine Stück was vor mir lag… und meinen gesamten Fokus auf meinen Körper und meine Gewichtsverlagerung und die immer nur nächste Kurve gelegt. Und habe es geschafft. Im Tal unten angekommen musste ich mich erst einmal umziehen, weil ich klatschnass war, aber unglaublich glücklich und stolz, die Abfahrt alleine bewältigt zu haben…
Und das habe ich alles Alex zu verdanken. Weil er mich beharrlich und gut begleitet (ziemlich weit) aus meiner Komfortzone heraus gefordert hat... Es hat so etwas unglaublich befreiendes aus dem engen Korsett der Komfortzone auszubrechen! Und es hat auch etwas sehr befriedigendes und erfüllendes die Angst und Anspannung wahrzunehmen, die einen unweigerlich spüren lässt, dass man gerade dabei ist, sein gewohntes Terrain zu verlassen, und dass man sich trotzdem auf macht, ein Gebiet jenseits der Komfortzone zu betreten, um dann am Ende festzustellen, dass man die Herausforderung gemeistert hat. Und dabei kommt es nicht unbedingt darauf an wie (meine erste schwarze-Piste-Abfahrt erhält garantiert keine A-Note), sondern dass man den Mut aufbringt es zumindest zu versuchen. Und jetzt kann ich solange üben, bis meine Technik sich auch im schwarzen Gelände verbessert und meine Angst immer mehr nachlässt. Der erste Schritt ist immer der schwierigste. Danach fällt es immer leichter sich in der Out-of-comfort-zone zu bewegen und das neue Terrain zu erkunden. Und es ist tatsächlich so, dass wir uns dann wie ein neues Gebiet erobern und darin mehr Freiraum haben um uns zu bewegen. Im Schnee, wie auch im übertragenen Sinne.
Mittlerweile bin ich diese Abfahrt mehrere Male gefahren und sie ist für mich immer der krönende Abschluss eines Skitages, auf den ich mich den ganzen Tag lang wie wahnsinnig freue. Ich kann mittlerweile auch von oben bis ins Tal hinabschauen, weil ich weiß, dass ich das fahren kann. Die Angst begleitet mich zwar immer noch, aber sie stört mich nicht mehr, weil der Stolz und die Freude, die jedesmal, wenn ich unten im Tal meine Skier abschnalle, mein Gesicht und mein Herz erobern, mich auch am nächsten Tag noch begleiten…